WALKÜRE IM SCHEINWERFERLICHT

Die Stuttgarter Ring-Inszenierung im Jahre 2003

Ein Holztisch, daran sitzt erstarrt eine Frau, von dem gleißend hellen Lichtstrahl eines Scheinwerfers buchstäblich geblendet. Die Hände hält sie schützend vor ihr Gesicht. Nicht nur die Frau, die ganze Szene wirkt verstörend. Was ist das, was wir hier sehen? Ein Verhör etwa? Würde ich nicht die Musik dazuhören, würde ich wohl nochmal auf die Hülle der DVD schauen müssen: Wagners Walküre. Der erste Tag von Wagners Nibelungen-Epos.
Modern und kompromißlos unhistorisch in Szene gesetzt von Christof Nel (geboren 1944) am Staatstheater Stuttgart 2003. Im ersten Moment bin ich verärgert. Wie kann man so etwas überhaupt machen? Das soll etwa Brünnhilde in Loges Feuerzauber darstellen? Ich versetze mich in die Lage der Zuschauer. Müssen sie nicht empört über das gewesen sein, was sie da vor sich auf der Bühne erleben?
Doch halt! Versetze ich mich in Nels Lage, wird mir schnell klar, dass die grundlegenden Frage, wie ein Regisseur ein Werk umsetzen möchte, in diesem Fall - im Fall des Nibelungenrings - ein kaum an Herausforderung übertreffbares Vorhaben nicht nur für den Regisseur, sondern auch für alle anderen, den Bühnenbildner ganz zu schweigen, sein mußte. Wir denken an Bayreuth und die seit 137 Jahren währende kaum unterbrochene Spieltradition unter anderem dieses Wagner-Werkes.
Also traditonelle historische Aufführungstradition in Bayreuth und dagegen als Kontrast diese modernen Inszenierungen von Joachim Schlömer (Rheingold), Christof Nel (Walküre), Jossi Wieler und Sergio Morabito (Siegfried) und Peter Konwitschny (Götterdämmerung)?
Und was wäre dann (um nicht zu sagen vorallem:) z.B. mit dem Jahrhunderring, jener Ring-Inzenierung zwischen 1976 und 1980?
Regisseur Patrice Chéreau und Bühnenbildner Richard Peduzzi sahen sich einem aufgebrachten protestierenden Publikum gegenüber, einem enormen Protest gegen die Übertragung der zeitlos-mythischen(?) Ring-Handlung ins frühe neunzehnte Jahrhundert, die sogar zu Schlägereinen während der Aufführung führten. Unterschriften wurden damals gesammelt und der eine oder andere Orchestermusiker verweigerte gegenüber Dirigent Pierre Boulez dann auch noch empört seinen Dienst. Doch als die Inszenierung im Jahre 1980 dann ihr Ende nahm, gab es einen Applaus, der unvorstellbare 90 Minuten und 101 Vorhänge dauerte. Das Wagnis zum Bruch mit der bis dato geltenden Tradition war erfolgreich.

Wenn wir nun 2003 in Stuttgart Walküren als uniformierte Tänzerinnen mit Pappflügeln erleben, dann bin ich plötzlich milder gestimmt, bin bereit, mich auf diese neue Sichtweise des Rings einzulassen. Vielleicht werde ich mich am Ende sogar an das höchst leichtfüssig und unschwermütig anmutende Dirigat von Lothar Zagrosek gewöhnt haben und wer weiß: Am Ende vielleicht sogar von diesem so anderen Ring begeistert sein? Wer weiß?

Von Jeromin Fest.