DROHNEN ZUM AUSDRUCKEN

Dilemma zwischen Sicherheit und Freiheit

Ein sonniger Morgen in nicht allzu ferner Zukunft: Sie stehen auf, gehen ins Bad - und finden in Ihrer Dusche eine Spinne. Zwar sind Ihre arachnologischen Kenntnisse eher bescheiden; gleichwohl ist Ihnen klar, dass eine der folgenden vier Möglichkeiten zutrifft:

(a) Die Spinne ist echt, aber harmlos.

(b) Die Spinne ist echt und giftig.

(c) Ihr Nachbar, der Sie und ihren stets kläffenden Hund nicht ausstehen kann, hat seine bei "Drones `R Us" für 49,95 Euro erworbene Überwachungs-Spinne auf Sie angesetzt, die er bequem von seinem Smartphone aus steuert, während er in seinem Lieblingscafé um die Ecke an einem Cappuccino nippt. Die Bilder von Ihnen im Adamskostüm werden live ins Internet übertragen und überdies während eines Fußball-Spiels zur Erheiterung der gesamten Nachbarschaft auf den Stadion-Leinwänden eingeblendet.

(d) Ihr Geschäftspartner hat Ihnen seine Assassinen-Spinne auf den Hals gehetzt, die er von einem insolventen Militärausrüster erstanden hat. Sobald die Spinne Sie mit ihren Sensoren detektiert hat, schießt sie eine winzige Nadel in Ihr Bein und entnimmt eine kleine Blutprobe, um sie mit den Daten abzugleichen, die von Ihnen bereits auf www.ever.com (Everything about Everybody) gespeichert sind - und für eine Gebühr von 179,99 Euro abgerufen werden können. Während Sie den Rückzug aus der Dusche antreten und sich ins Schlafzimmer flüchten, ermittelt die Spinne eine Übereinstimmung zwischen Probe und Ziel-Daten. Sofort setzt sie Ihnen mit unglaublicher Geschwindigkeit nach und schießt eine zweite Nadel ab, dieses Mal jedoch mit einem hochwirksamen, rasch zerfallenden Toxin. Anschließend huscht sie unter der Tür ihres Schlafzimmers hindurch, verlässt die Wohnung und initiiert ihr Selbstzerstörungsprotokoll. Als die Polizei nach einigen Tagen Ihre Wohnung aufbricht, findet sie keine Spuren des Giftes oder der Spinne.

"This is the future", wie Gabriella Blum in ihrem Aufsatz "Invisible Threats" schreibt, dem dieses unerfreuliche Szenario entnommen ist. Roboter, die nicht größer sind als eine menschliche Hand, sind bereits Realität. So haben Forscher der U.C. Berkeley einen schabenartigen Roboter, den "OctoRoach", entwickelt, der sich problemlos auf unebenem oder auch grobkörnigem Untergrund bewegen kann und sich dadurch z.B. gut für Erkundungszwecke im Gelände eignet. Aus derselben Roboterschmiede stammt auch der "iBird - Autonomous Ornithopter", ein autonom agierender fliegender Roboter von der Größe einer Amsel (eine kurze Präsentation dieser Errungenschaften findet sich hier). Selbstredend kommt ein Flugroboter selten allein: Das GRASP Laboratory der University of Pennsylvania hat sog. Nano Quadrotors entwickelt, die im Schwarm fliegen und gemeinschaftlich agieren können. Und wer derlei sofort haben möchte, ohne erst bei Amazon ordern zu müssen, der kann sich seinen Drohnenschwarm wohl demnächst selbst ausdrucken: Zumindest ist das einigen Bastlern am Creative Machines Lab der Cornell University gelungen, und zwar mithilfe eines 3D-Druckers (siehe ihre Präsentation des "3D Printed Hovering Ornithopter").
Womit wir beim Thema wären: Autonom agierende Roboter werden nicht nur immer kleiner, immer leistungsfähiger und immer günstiger; sie kommen vielleicht schon bald aus dem heimischen 3D-Drucker - zumindest in großen Teilen (Prozessoren etwa werden wohl noch einige Zeit nicht dazu gehören).
Beim 3D-Druck werden dreidimensionale Objekte Schicht für Schicht z.B. aus erkaltendem Kunststoff aufgebaut; der Drucker fungiert dabei im Prinzip ähnlich wie eine (avancierte) Heißklebepistole. Neulich hat c't (2012, Heft 11, "Zauberkästen: Sieben 3D-Drucker im Test") einige 3D-Drucker miteinander verglichen. "Ohne Hingabe" sei 3D-Druck zwar derzeit noch nicht zu machen. Allerdings ließen sich mit den erhältlichen Geräten bereits nützliche Dinge herstellen (der Preis bewegte sich bei den getesteten Geräten zwischen ca. 900 und 3.900 Euro). Wenn sich die Palette der verwendbaren Materialien vergrößert und man den Drucker mit anderen Werkzeugen kombiniert, erhält man eine vollwertige kleine Fabrik, z.B. zur Produktion von Ersatzteilen. Von der US-Armee werden derartige "Werkstattcontainer" bereits eingesetzt. Die Vorteile sind offensichtlich: Man ist unabhängig vom Transport über - eventuell unsichere - Nachschubrouten; man bekommt die Teile dann, wenn sie gebraucht werden, und nicht erst mit ggf. wochenlanger Verzögerung; und man kann eigene Ideen schnell und kostengünstig umsetzen. (Übrigens verwenden US-Soldaten die Container unter anderem dazu, Bauteile für Roboter herzustellen.)
Wie der 2D-Drucker in den 90er Jahren des verflossenen Jahrhunderts Desktop-Publishing möglich gemacht hat, so der 3D-Drucker demnächst wohl das Desktop-Engineering, allerdings mit viel gravierenderen Folgen. Erst im Oktober meldete Wired, dass Cody Wilson - Texaner, Jurastudent und Spiritus Rector eines Online-Kollektives, das die Waffe zum Selbstausdrucken für jedermann anstrebt - vorerst mit seinem Projekt "Wiki Weapon" gescheitert ist, weil der Herstellerfirma des dafür vorgesehenen 3D-Druckers Bedenken kamen.
Natürlich fragt man sich, wozu es in einem Land, in dem auf jeden Bürger, d.h. vom Säugling bis zum Opa, durchschnittlich eine Schusswaffe kommt, eines solchen Projekts überhaupt bedarf. Der entscheidende Punkt ist aber ein anderer: Die Idee, 3D-Druck für Waffenzwecke zu verwenden, ist bereits in der Welt, und das obwohl diese Technologie für die Waffenproduktion im Hobbykeller noch gar nicht wirklich ausgereift ist.
Bekanntlich eigenen sich Drohnen vorzüglich als Waffen. Diverse Armeen, übrigens nicht nur die US-Armee, sondern auch die Bundeswehr, haben Unmanned Aerial Vehicles (UAV) deshalb längst in ihr Arsenal integriert - und übrigens auch landgestützte Roboter (wie z.B. den "iRobot 110 FirstLook"). Beispielsweise im Afghanistan-Krieg - der bekanntlich auch Pakistan mit einbezieht - sind UAVs längst zu tragenden Elementen des Militäreinsatzes geworden, den gerade die Obama-Administration zielstrebig zu einem regelrechten Drohen-Krieg ausgebaut hat - mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung. (Eine gut lesbare Einführung in das Thema gibt das TELEPOLIS-Buch Kriegsmaschinen. Roboter im Militäreinsatz, hg. v. Hans-Arthur Marsiske. Wer gleich etwas tiefer einsteigen möchte, sei auf die eingehende Studie Wired for War: The Robotics Revolution and Conflict in the 21st Century des amerikanischen Politikwissenschaftlers Peter W. Singer verwiesen. Ein Interview mit Singer findet sich hier). Die zentrale Frage lautet nun: Warum sollte der Einsatz von Drohnen für bewaffnete Zwecke auf reguläre Armeen beschränkt bleiben? Und was ändert sich, wenn quasi (nahezu) jedermann prinzipiell in der Lage ist, ein Arsenal kleiner Kampfroboter aufzubauen und einzusetzen?
Nach Gabriella Blum unterscheiden sich die Kampfroboter-für-jedermann-Technologien von konventionellen Waffentechnologien unter drei Gesichtspunkten:

(1) Verbreitung ("proliferation"): Kampfroboter sind immer kleiner, leistungsfähiger und günstiger zu haben. Dies ermöglicht eine "Demokratisierung" militärischer Gewalt, da Einzelpersonen sich mit bislang unbekannter Leichtigkeit hochleistungsfähige Waffensysteme beschaffen können.

(2) Entfernung ("remoteness"): Die Reichweite derartiger Waffensysteme wird bald praktisch unbegrenzt sein, z.B. dank remote control via Internet. Privatpersonen werden daher in die Lage versetzt, transkontinentale Militärschläge auszuführen, also etwas, das technisch bislang Staaten vorbehalten war. Es steht zu befürchten, dass - um einen Gedanken von Peter Singer aufzugreifen - mit der Entfernung zugleich auch die Hemmschwelle sinkt und einer "Play-Station-Mentalität" des Tötens Vorschub geleistet wird.

(3) Verborgenheit ("concealment"): Die Quelle eines Angriffs lässt sich nur noch schwer oder gar nicht mehr ausfindig zu machen. Vergeltung soll also wen treffen? Die Staatsgrenze bietet keinen Schutz mehr vor militärischen Angriffen und Nationalität liefert kein verlässliches Unterscheidungskriterium mehr für die Unterscheidung von Freund und Feind im militärischen Sinne. (Der Inhaber der Überwachungs- oder Assassinen-Spinne hat vermutlich die gleiche Staatsbürgerschaft wie Sie.) Der Unterschied zwischen Krieg (im völkerrechtlichen Sinne) und Verbrechen verwischt.
Das bedeutet: Töten wird für Einzelpersonen einfacher, kostengünstiger und gefahrloser. (Daniel Suarez, der uns mit Daemon bereits eine beunruhigende Vision unserer nahen Zukunft an die Wand malte, hat ein derartiges Szenario gerade in Kill Decision aufgegriffen.) Die militärischen Abschreckungspotentiale der Staaten gegen Attacken von auswärts greifen hier nicht, denn wen soll ein Gegenschlag treffen? Soll man Atombomben auf, sagen wir, Pakistan werfen, weil Privatleute von dort aus Drohnenangriffe auf hochrangige US-Politiker gesteuert haben? Soll ein Staat Drohnenangriffe von Privatleuten in einem anderen Staat mit Drohnenangriffen auf diese Personen beantworten? Auch das wäre völkerrechtlich ein kriegerischer Akt mit unabsehbaren Konsequenzen. Die Miniaturisierung und Demokratisierung von militärisch potenter Technologie hat nach Blum das Zeug dazu, die internationale Rechtsordnung ins Wanken zu bringen.
Und wie steht es mit blutigen Roboter-gestützten Privatfehden zwischen Bürgern desselben Staates? Der neuzeitliche Staat legitimiert sich maßgeblich durch den Schutz, den er seinem Bürger vor den Gefahren bietet, die von anderen Bürgern ausgeht - also durch die Beendigung des Krieges aller gegen alle (Hobbes' bellum omnium contra omnes) durch die Übermacht des staatlichen Sicherheitsapparates. Dieser Schutz wird ausgehöhlt, wenn sich im Prinzip jeder die Baupläne und Software für Drohnen aus dem Netz herunterladen und die Teile im heimischen Hobbykeller selbst herstellen kann. Vielleicht etabliert sich im TOR-geschützten Darknet bald eine entsprechende Industrie - oder politische Bewegung - die sich durch eine alternative Ökonomie trägt, in der mit elektronischem Geld wie bspw. Bitcoins bezahlt wird und die sich staatlicher Überwachung und Kontrolle naturgemäß weitgehend oder sogar vollständig entzieht. Drogenhandel zum Beispiel hat im Darknet bereits Einzug gehalten. (Einen interessanten Podcast zu elektronischem Geld hat Tim Pritlove gemacht, den man auf cre.fm findet - einfach nach "elektronisches Geld" suchen.)
Es scheint, dass sich hier ein Dilemma auftut - Sicherheit oder Freiheit: Entweder reagieren die Staaten auf die drohende Erosion ihrer Legitimität mit einem massiven Ausbau ihres Überwachungs- und Sicherheitsapparates; dann würden die Aushöhlungsprozesse jedoch auf Freiheit, Privatsphäre etc. umgeleitet und damit die Fundamente demokratischer, liberaler Gesellschaften zerfressen. Oder die Staaten reagieren auf ihre wachsende Hilflosigkeit mit Hilflosigkeit - und die Bürger gehen zur Selbsthilfe über. Blum nennt als - vergleichsweise harmloses - Beispiel eine iPhone-App, die Fotos vom Dieb des iPhone macht und sie auf Facebook als "Wanted" postet. Am fernen Ende dieser Entwicklung entsteht dann vielleicht eine "Gesellschaft" zwischen den Ruinen der weitgehend funktionslos gewordenen "klassischen" Staaten, die zwar global vernetzt kommuniziert, aber lokal Clan-artige Strukturen zwecks Online- und Offline-Sicherheit gebildet hat - ein globales Dorf bewohnt von neotribal organisierten Stammesbewohnern.
Ich habe neulich übrigens auch eine Spinne in meiner Dusche gefunden. Diesem Exemplar war allerdings noch mit der bewährten Ab-ins-Glas-und-aus-dem-Fenster-Methode beizukommen.

Von Dr. Daniel Gruschke.