Eigentlich lebt Rick Dekkard in einer ganz normalen Welt und hat einen ganz normalen Beruf, so vermittelt das Philip K. Dick in seinem Werk Do Androids Dream of Electric Sheep?.
Nicht weniger normal und eben nicht außergewöhnlich ist auch der Umstand, daß Menschen mit einem Gerät namens Stimmungsorgel ihre Stimmung wählen. Von Euphorie bis Depression ist hierbei natürlich alles frei einstellbar. Und doch ist für den Leser nur wenig in den Welten Dicks gewöhnlich. Rick Deckards Beruf besteht darin, künstlich geschaffene Lebensformen zu jagen und zu töten, da sie sich als anders und gefährlich erwiesen haben und daher auf der Erde keine Daseinsberechtigung und keine Rechte mehr haben. Diese Tätigkeit des sogenannten Prämienjägers ist ein gefährlicher Beruf. Aber auch ein Beruf, bei dem man durch genügend Tötungen so viel Geld verdienen kann, daß man sich einen besonderen Luxus leisten kann: Ein eigenes Haustier, das auf eigens dafür vorgesehener Grünfläche auf dem Dachgarten grast und das jedem Nachbarn unmißverständlich demonstriert, wie reich und erfolgreich man in dieser postatomar verstrahlten Welt sein muß, wenn man sich ein echtes Tier leisten kann. Vielleicht kann Deckard das, zumindest hofft er das und die Vorstellung, sein Roboterschaf durch ein echtes lebendes Schaf ersetzen zu können, beflügelt seine Arbeit enorm.
Auch die Geschichte von J.R. Isidore ist, so wird sie von Dick erzählt, nichts Ungewöhnliches. Weder ist es ungewöhnlich, in dieser Welt zu einem Spezialfall zu werden, mit anderen Worten zu jemandem, der durch die Auswirkung der giftigen Oberfläche die Mindestanforderung der verpflichtenden Intelligenztests nicht bestanden hat, noch ist es ungewöhnlich, dadurch zu einem Mensch zweiter Klasse zu werden, zu jemandem, der als Spatzenhirn bezeichnet werden darf, dessen Rechte eingeschränkt werden und der keinerlei Perspektive mehr hat und sogar das Recht verloren hat, die giftige Erde zu verlassen und auf den ungiftigen Mars auszuwandern.
Rick Deckards Welt wird erschüttert, als er vom Rosen-Konzern gebeten wird, seinen Androidenerkennungstest an Rachael Rosen, der angeblichen Tochter des Konzernchefs vorzunehmen. Als der Test positiv ist, ihm aber versichert wird, daß Rachael echt ist, scheint seine berufliche Existenz vor ihrem Ende zu stehen. Wenn es wirklich möglich ist, den Test als Mensch nicht zu bestehen, wie kann er dann noch sicher sein, nicht Menschen statt Androiden zu eliminieren? Doch Deckard durchschaut das Manöver, denn Rachael ist tatsächlich ein Androide, allerdings einer vom neuem Typ Nexus-5. Dem Rosenkonzern hätte nämlich sehr daran gelegen, die Tätigkeit der Prämienjäger in Frage zu stellen um die Verfolgung seiner auf dem Mars, nicht aber auf der Erde legalen Produkte zu stoppen.
Als Deckard dann von höchster Stelle den Auftrag bekommt, sechs illegal auf die Erde eingewanderte Nexus 5 Androiden zu jagen, wird ihm schnell klar, wie schwierig sich der Auftrag gestalten wird, wenn seine Ziele so schwer von Menschen unterschieden werden können.
An dieser Stelle setzt ein, worauf der Leser insgeheim die ganze Zeit über gehofft hatte: Deckard beginnt, sein Handeln in Frage zu stellen, beruht es doch auf der bis dato unerschütterten Überzeugung, das sich eine absolut klare Grenze zwischen Mensch und Maschine ziehen läßt; Eine klare Grenze, anhand derer zwischen Lebewesen mit unverletzbaren Grundrechten und zum Abschuß freigegebenen Lebewesen ohne irgendwelche Rechte begründbar unterschieden werden darf. Deckards Welt gerät zunehmend in Unordnung und während seine Frau fremd und kalt zu sein scheint, übt ausgerechnet Rachael eine menschlich-frauliche Anziehungskraft auf ihn aus.
J.R. Isidores immer gleicher Tagesablauf, der darin besteht, idiotische Fernsehsendungen zu sehen, bei einem Androidenreparaturservice zu arbeiten und durch die Teilhabe an einer Pseudoreligion namens Mercerismus seine Einsamkeit zu lindern, wird plötzlich dadurch aufgebrochen, daß er zum ersten Mal seit Jahren wieder eine Nachbarin in dem bis dato leeren Wohnblock bekommt. Was zunächst nur mit einer eigenartigen aber attraktiven Nachbarin beginnt, entpuppt sich bald zu einer für ihn bedrohlichen Situation. Alsbald sieht er sich nur Pris, sondern auch noch zwei Männern gegenüber und bald wird ihm klar, daß es sich bei allen drei um Androiden handelt, die in ihm eine potientielle Gefahr für ihre Sicherheit sehen. Ironischerweise ist es gerade sein gesellschaftlicher Status eines Spatzenhirns, der ihn nicht nur der Exekution entgehen, sondern ihn sogar mit den Androiden sympatisieren läßt: Isidore auf der einen Seite, jener von der Gesellschaft ausgestoßene Außenseiter, die Androiden auf der anderen Seite, jene rechtlosen verfolgten Androiden.
Nun könnte man glauben, Dicks Geschichte würde in etwa so enden, daß Deckard und Isidore unabhängig voneinander erkennen, daß eine begründbare Unterscheidung von Androiden und Menschen Fiktion ist, denn beide müssen feststellen, daß sie sich in die gleiche Frau verliebt haben, bei Deckard ist es Rachael und bei Isidore ist es Pris, beide das gleiche Nexus-5 Androidenmodell.
Tatsächlich sieht es zunächst so aus, als könne Deckard, nachdem er mit Rachael Rosen geschlafen hat und selbige nicht töten will, niemals wieder Androiden töten. Erst Recht nicht, wenn einer der Gejagten genau gleich aussieht wie Rachael.
Und da tritt jener erstaunliche Moment auf, der in mehreren Dick Werken zu finden ist, jener Moment, in der die Hauptperson zurückfindet in ihre ganz eigene Welt mit ihren ganz eigenen Werten, zurückfindet in jene Welt, der sie entstammt, eine Welt, die dem Leser völlig fremd ist und auch bleibt.
Während Deckard nach drei äußerst kritischen aber erfolgreichen Androidenbegegnungen zum Vernichtungsschlag gegen die drei verbliebenen Nexus-5 Androiden ausholt, erkennt auch Isidore plötzlich eine unüberwindbare Differenz zwischen Mensch und Androide. Auslöser dieser überraschenden Wendung bei Isidore ist Pris' offensichtliche Unmenschlichkeit, mit der sie einer vermutlich echten Spinne sämtliche Beine ausreißt, um in kühler wissenschaftlicher Manier herauszufinden, wieviele Beine eine Spinne denn bräuchte, um noch laufen zu können.
Plötzlich tritt jene spezielle Andersartigkeit der emotionalen Reaktionen zu Tage, jene nichtmenschliche Empatie, auf deren Deckards Androidendetektor basiert - in den Vordergrund.
Als Deckard dann unvermeidlich die drei verbliebenen Nexus-5 Androiden aufspürt, bleibt Isidore passiv und zieht es vor, während deren Ermordung die Spinne in einem menschlichen Akt zu beerdigen.
Dicks Buch Do Androids Dream of Electric Sheep? ist nicht einfach nur ein Buch mit der zuvor in knapper Form dargelegten Handlung. Auch diese von ihm geschaffene Welt ist voller Sarkasmus und bizzarer Momente wie z.B den, als Deckard seine Frau anruft um ihr mitzuteilen, daß er gerade um Haaresbreite dem Tod entgangen ist, diese aber völlig unfähig zu sein scheint, die Bedeutung seiner Worte zu verstehen, hat sie sich doch mit der Stimmungsorgel in eine tiefe Depression begeben, aus der sie erst das programmierte Programmende befreien wird. Oder auch der Moment, als Deckard erfährt, daß Rachael Rosen das gerade eben erst gekaufte echte Schaf aus Rache für die Ermordung von Pris von seinem Dachgarten gestürzt hat. Nicht zuletzt bizzar mutet auch die Tatsache an, daß sich Rick Deckard nicht nur einmal fragt, ob er selbst vielleicht ein Androide sein könnte, eine Fragestellung auf die auch der Titel des Werkes Bezug nimmt: Wie menschlich sind Androiden? Träumen sie vielleicht sogar? Aber eigentlich stellt sich noch eine viel fundamentalere Frage: Wie menschlich sind Menschen?
Es ist nicht verwunderlich, wie einflußreich dieses 1968 geschriebene Werk für alles Spätere war.
1982 drehte Ridley Scott den Film Bladerunner, der den Deckard-Handlungsstrang aufgreift und in teilweise stark abgewandelter Form erzählt und an dessen Ende Deckard (Harrison Ford) seinen Beruf tatsächlich niederlegt um mit Rachael Rosen (Sean Young) zu fliehen.
1999 verfasste Marina Dietz für den bayerischen Rundfunk ein Hörspiel, das beide Handlungsstränge verkürzt wiedergibt. Von Jeromin Fest.