Milhauds höchst eigenartiges Werk trägt die Bezeichnung “Streichquartett” und verweist somit auf eine Tradition, die Leopold als „ureigenste Schöpfung deutschen Geistes und deutscher Ernsthaftigkeit“ ansieht. Ein Streichquartett im zwanzigsten Jahrhundert. Doch wie steht es denn eigentlich um jene ureigenste deutsche Schöpfung im 20. Jahrhundert? Beate Föllmi schreibt hierzu 2004: „Innerhalb der musikgeschichtlichen Entwicklungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stellt das Streichquartett nicht die zentrale Gattung dar – überhaupt stellt sich die Frage, ob sich im 20. Jahrhundert angesichts der Vielfalt der neu entstehenden oder neu definierten Gattungen überhaupt noch zentrale Gattungen bestimmen lassen.“ Milhaud hätte es wie seine Kollegen halten können und eine Bezeichnung wie z.B. "Stück für Streichinstrumente" wählen können. Hat er aber gerade nicht. Und doch, das wird sich nicht leugnen lassen, geht er vorallem im zweiten Teil eigene Wege... Das Streichquartett hat also keine zentrale Bedeutung in der Kunstmusik? Das ist dann doch recht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß die Situation nur Jahrzehnte früher mit den Worten von Ludwig Finscher gesprochen noch ganz anders aussah: „Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Gattungspoetik des Streichquartetts […] noch ungebrochen und einheitlich.“ Nicht nur das, denn das Streichquartett stand gemeinsam mit der Symphonie an der Spitze der Hierarchie der Gattungen der Instrumentalmusik. Was auch immer eine so große Veränderung in der Instrumentalmusik bewirkt haben mag, muß also in der Zeit zwischen Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts passiert sein. Die Symphonie galt als der Inbegriff öffentlicher Musik und war somit an eine große Zielgruppe gerichtet, während das Streichquartett als Inbegriff der Kammermusik galt, die ja gerade des Orts ihrer Aufführung wegen so heißt und an eine kleine spezialisierte Zielgruppe gerichtet ist: Wir müssen, so Finscher, von „Kammermusik als einer besonders anspruchs- und kunstvoll gestalteten Musik für Kenner und musikalisch gebildete Liebhaber“ sprechen, die sich entwickelt. Auf der einen Seite findet eine Steigerung des Gattungsanspruchs statt, auf der anderen Seite eine Art von Spezialisierung oder Beschränkung. Gemessen wurde die Gattung zunächst an den kanonischen Werken von z.B. Haydn (1732-1809), Mozart (1756-1791), Brahms (1833-1897) und natürlich Beethoven (1770-1827), doch sogar bei Beethoven findet man die Entwicklung vorbereitet: „Beethovens letzte Quartette nämlich, vor allem Op. 131, machen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine erstaunliche Karriere als Modelle einer Erneuerung der Gattungstradition, die eben dadurch, daß die zuvor wenig geliebten Spätwerke der Ausgangspunkt waren, zu einer partiellen Verwandtschaft dieser Tradition wurde.“ Die Entwicklung des Streichquartetts beschreibt Finscher, indem er drei Hauptvarianten unterscheidet: Monumentalisierung, Miniaturisierung und einen mittleren Weg. Die sowohl für Symphonie als auch Streichquartett geltende Monumentalisierung und die gattungseigene, also nur im Bereich Streichquartett stattfindende Miniaturisierung. Dazwischen liegt das, das was Finscher den mittleren Weg nennt. Die Monumentalisierung meint, wie der Name schon erahnen läßt, eine extreme Steigerung des Gattungsanspruchs. Das zyklische Thema, eine ursprünglich von Hector Berlioz (1803-1869) stammende aber von César Franck (1822-1890) formulierte Idee eines wiederkehrenden Themas, wird entweder wie bei D`Indy (1851-1931) verdichtet, oder komplexer wie bei Ravel (1875-1937) und Debussy (1862-1918). Grundsätzlich muß hier von einer inneren Differenzierung, von Monothematik oder gar deutscher Kontrapunktik à la Taneev (1856-1915) gesprochen werden. Hier liegt ein extremer kompositorischer Anspruch vor. Dies gilt aber nicht nur für das Streichquartett, sondern auch für Symphonien. Die Miniaturisierung stellt den Gegenpol zur Monumentalisierung dar. Hier entstehen neue Kleinformen, es herrscht richtiggehend eine Abneigung gegen den Begriff „Streichquartett“. Alternative Bezeichnungen wie Sätze, Stücke, Bagatellen, Studien, Intermezzi, Pièces, ggfs. wenn überhaupt mit Besetzungsangabe „Für Streichquartett“ werden bevorzugt. Das Gattungsgefüge ist zwar nachhaltig außer Kraft gesetzt, aber der Gattungsanspruch ist nicht nur da, sondern erfährt eine Steigerung bis zur (in Finschers Formulierung) klingenden Stille“. Die Zeitschrift „Die Musik“ schreibt 1907 zu Schönbergs Opus 7: „Der eine Satz des Werkes dauert fünfzig Minuten und stellt durch harmonische Kühnheiten, verzwickteste Rhythmik, melodische Kurzatmigkeit und die verschiedensten instrumentalen Effekte die Aufnahmefähigkeit des Hörers auf eine [.] schwere Probe.“ Die dritte Hauptvariante neben Monumentalisierung und Miniaturisierung ist der mittlere Weg. Die Gattungspoetik soll hier nicht übertroffen oder gar überwunden werden, sondern in neuer Form fortgesetzt werden. Dieser neue Formbegriff ist aber geräumig genug, um Werken Othmar Schoecks genauso Platz zu bieten wie denen Béla Bartoks (1881-1945) und das, obwohl beide durchaus als gegensätzlich bezeichnet werden können. In der neuen Gattungstradition finden sich beide zugleich fest verankert. Neu ist die stark vorherrschende Auseinandersetzung und zwar sowohl mit anderen zeitgenössischen oder auch früheren Komponisten, wie z.B. Bartok mit Beethoven und Schönberg mit Mozart und Brahms. Es wird zitiert und Bezug genommen und das sogar ironisch. (Shostakovichs erstes Streichquartett nimmt Bezug auf Beethovens fünfte Symphonie. Eine solche Auseinandersetzung findet auch bei Milhaud statt. Ironischerweise verweist er bei seinem letzten (achtzehnten) Streichquartett auf sein erstes: Er zitiert das Kopfthema des ersten Streichquartetts und bezeichnet das letzte Stück als „fin des dixhuit quatuors à cordes, 1912-1951“. So sehr Darius Milhaud den deutschen Wagnerismus ablehnte, so sehr interessierte er sich sehr für die Werke von Ravel, Satie (1866-1925), Roussel (1869-1937) und Koechlin (1867-1950). Debussys Oper "Pelléas und Mélisande" bezeichnete er später als seine "nourriture essentielle" (siehe Biographie "Ma vie heureuse", Paris 1973). Debussys 1892 geschriebenes Quartett war, so schreibt Jens Rosteck im zwölften Band der MGG, für Milhaud 1905 dann wie eine Offenbarung. Allerdings ist Milhauds Bewunderung für Ravel und Debussy in dieser Zeit keine Einzelerscheinung. Deborah Mawer schreibt hierzu: “Like most composers of his generation, he could not escape the influence of Debussy and Ravel in his works before 1918; in 1920, however, he became one of `Les Six´-rather by accident than design, though he had already been a member of his forerunner grouping, `Les Nouveaux Jeunes´. Mit dem von den Medien erfundenen Begriff „Groupe de Six“ sind die Personen Georges Auric, Louis Durey, Arthur Honegger, Francis Poulenc, Germaine Tailleferre und Darius Milhaud, die sich um den Schriftsteller und Maler Jean Cocteau, (dessen 1918 erschienenes Traktat «Le Coq et l’arlequin» sich gegen den Einfluß von Richard Wagner empört,) sowie den Komponisten Eric Satie scharen; Alle verbindet die Ablehnung Richard Wagners, sowie (möglicherweise) die Suche einer gemeinsamen Opernästhetik. Die Groupe sorgte für Aufruhr und Skandale, z.B. mit Milhauds 1919 geschriebenen surrealistischen Ballett „Le Boeuf sur le toit“, das zusammen mit Georges Aurics „Adieu New York“, Francis Poulencs „Cocardes“ und Erik Saties „Trois petites pièces montées“ im Februar 1920 am Théâtre des Champs-Élysées in Paris uraufgeführt wurde. Die Frage, ob es wirklich eine Gruppenästhetik innerhalb der Groupe de Six gab, wurde in den siebziger Jahren vorwiegend verneint, aber „neue Veröffentlichungen unterstreichen gerade die verbindenden Momente einer Orientierung, ohne so weit zu gehen, die „Six“ als eine regelrechte Schule deklarieren zu wollen. […] Jeder einzelne war […] individueller Komponist mit biographisch begründeten stilistischen Präferenzen.“ "Im Gegensatz zu Poulenc und Honegger, die bei aller Verschiedenheit der einzelnen Werke einen je individuellen Stil besitzen, komponiert Milhaud je nach Aufgabenstellung oder Situation sehr unterschiedlich." Und gerade diese Unangepaßtheit, Individualität und Differenziertheit zeichnet Milhauds Schaffen aus, auch in Bezug auf seine Streichquartette, sei es angesichts ihrer Verschiedenheiten, sei es, daß er schon 1920 in Cocteaus Zeitung "Le Coq" angekündigt hat, daß er genau achtzehn Streichquartette schreiben werde und dem auch so war und sei es auch, daß er vermutlich einerseits provozieren, andererseits mit vielen mehr oder weniger schnell zu entdeckenden Details und modaler Flexibilität eine bestimmte wenn auch sehr spezielle Zielgruppe in Aufruhr und oder Begeisterung versetzen wollte. Das dritte seiner achtzehn Streichquartette, das 1915 im Gedenken an Léo Latil (1890-1915) geschrieben und nie öffentlich aufgeführt wurde, weist in seinem zweiten Satz einen Bruch in der traditionellen Besetzung auf, worauf noch später näher eingegangen werden wird. Das vorliegende Streichquartett III trägt die Bezeichnung "Streichquartett" und verweist somit auf eine Tradition, die die Musikwissenschaft als „ureigenste Schöpfung deutschen Geistes und deutscher Ernsthaftigkeit“ Bei erster Betrachtung des ersten Satzes finden wir auch die traditionelle Streichquartettbesetzung, überwiegend Sechs-Achtel-Takt, ansonsten aber kurze Verschiebungen in Sieben-Achtel-Takt - Das haben wir in einem Streichquartett wohl eher nicht erwartet! Es ist gibt keine Tonartvorzeichnung und eine Tonart läßt sich übrigens auch nicht ausmachen. Das Stück ist überschrieben mit „Très lent“, die Dynamikangaben bewegen sich zwischen Piano, Pianissimo und dreifachem Piano, ein Forte sucht man vergebens. Der erste Satz besteht aus 161 Takten und es sei an dieser Stelle vorweg genommen, daß er somit annährend doppelt solange wie der 83 Takte lange 2.Satz. Die Spieldauer des ersten Satzes beläuft sich bei vorgezeichneter Metronomangabe von ein Achtel = 66 Schläge pro Minute (statt üblicherweise 80 bis 90 Schläge) auf stattliche siebzehn Minuten. Soweit der erste Eindruck, nun sei eine eingehendere Betrachtung vorgenommen. Der erste Satz beginnt im Sechs-Achtel Takt, im sechsten Takt wechselt er in einen sieben Achtel Takt, um im siebten Takt sofort zum Sechs-Achtel-Takt zurückzukehren. Im zwölften Takt finden sich dann wieder sieben Achtel, wobei sich trotz Vorzeichnung in der ersten Violine kein Wechsel zu vollziehen scheint: Zählt man deren Achtel, kommt man auf sechs Achtel pro Takt. Dies hat den Effekt, daß sich die Violine rhythmisch verselbständigt, man könnte sagen, sie emanzipiert sich. Im weiteren Verlauf bis Takt 88 herrscht wieder Sechs-Achtel Takt und das, obwohl in der Notation keine Vorzeichnung zurück zu Sechs-Achtel erfolgt! In Takt 88 sind wieder Sieben-Achtel vorgezeichnet, aber nur für einen Takt, um dann in Takt 89 und diesmal ganz „offiziell“ wieder zum Sechs-Achtel-Takt zurückzukehren und bis zum Schluß des Stücks zu verweilen. Grundsätzlich auffallend in Milhauds Stück ist, daß jeweils zwei Stimmen miteinander korrespondieren, sei es durch gleichgerichtete Bewegung (z.B. Takt 99ff) oder durch Gegenbewegung (Bsp. 91ff), aber welche Stimmen korrespondieren, wechselt sich. Interessant auch die auffallend stark vorherrschende Kontrapunktik, wozu Marie-Laure Ragot schreibt: „L’écriture de Milhaud se présente dans sa conception comme d’abord contrapunctique avant que d’être harmonique. Il s’agit souvent de superposition d’éléments pensés d’abord pour eux-mêmes et non pas en premier lieu dans un enchainement vertical avec d’autres.” Das Stück beginnt zunächst mit folgender Melodie im Violoncello (siehe Abbildung) und wird den gesamten ersten Satz beherrschen und wird, mag sie auch am stärksten im Violoncello wirken, doch in sämtlichen vier Stimmen vorkommen. Harmonisch herrschen dissonante Klänge vor, vor allem große Sekund-Intervalle, z.B. e und fis, a und h und das nicht etwa vereinzelt, sondern laufend, weil es eine notwendige Folge der vorliegenden Tonalität ist: Wie nicht anders von Milhaud zu erwarten, liegen zwei sich überlagernde Toniken im Sekundabstand vor, was man als Bitonalität (und bei drei oder mehr sich überlagernden Toniken als Polytonalität ) bezeichnet, eine nicht nur von Milhaud, sondern zum Beispiel auch von Ravel forcierte Erweiterung der traditionellen Tonalität und eben nicht eine Abkehr von der Tonalität wie sie Schönberg mit der Atonalität und später mit der Dodekaphonie in Deutschland vorgenommen hat. Es sei noch auf die auffallenden Generalpausen hingewiesen, die sich mancherorts finden und nach der die für den ersten Satz charakteristische Melodie erneut anhebt. Ich möchte die Theorie vertreten, daß es sich bei diesen Generalpausen um etwas Eigenes und somit um Etwas und nicht um das Fehlen von Etwas, der Musik nämlich, handelt. Durch Milhauds Generalpausen entsteht der Eindruck, die Stille habe ihren eigenen Platz innerhalb der Komposition. Ein solches Prinzip, so es denn von ihm als solches gemeint ist, ist nicht neu, sondern existiert bereits in anderen Kulturen, und die Beschäftigung mit anderen Kulturen (z.B. Lateinamerika) war Milhaud stets ein hohes Anliegen, was dafür sprechen würde, daß sich mehr hinter den Pausen verbirgt. Eine Emanzipation der Pause, und der Begriff Emanzipation fiel übrigens bereits in Bezug auf einzelne Stimmen innerhalb seines Streichquartetts, findet sich zum Beispiel bei Honkyoku in Japan , bei John Cages Werk 4`33 und beim mollschen Gesetz. Die besagten Generalpausen erzeugen, seien sie nun etwas Eigenes oder auch nicht, in Verbindung mit der stets wieder anhebenden Melodie (s.o.) Abschnitte und erzeugen gerade dadurch eine gewisse Spannung, die im Kontrast zu dem ruhigen Gestus des ersten Satzes steht. Am Ende, genauer gesagt ab Takt 153, steht ein langes auffallendes Flageolette mit nachfolgender Fünf-Achtel-Generalpause, womit der bevorstehende zweite Satz mit erwartender Spannung angekündigt wird. In diesem zweiten Satz des dritten Streichquartetts erleben wir einen Bruch mit der Besetzungskonvention und der traditionellen ästhetik des Streichquartetts an sich: Zu den vier Streichern gesellt sich jetzt eine Sopranstimme! Die Wahl einer zusätzlichen Singstimme, die Milhaud hier 1915 getroffen hat, gab es schon sieben Jahre zuvor bei Schönbergs zweitem Streichquartett, bei dem eine Frauenstimme zu Stefan Georges Gedichte "Litanei" und "Entrückung" erklang. Der zweite Satz steht im Vier-Viertel-Takt, von wenigen Ausnahmen im Drei-Viertel-Takt abgesehen. Die Metronomangabe lautet ein Achtel = 56 Schläge pro Minute, Vorzeichen gibt es erwartungsgemäß keine, auch dieser Satz steht überschrieben mit „Très lent“. Die Dynamik bewegt sich wie schon beim vorherigen Satz im Pianobereich und kommt ohne Forte aus. Der Satz umfaßt 83 Takte und dauert etwa 7,5 Minuten. Aufgrund des Umstands der erweiterten Besetzung und im Wissen, daß die Musik direkt Bezug nimmt auf die von der Frauenstimme vorgetragene Lyrik Léo Latils, muß sinnvollerweise zunächst etwas zu Dichter und Text gesagt werden, bevor eingehender von Milhauds zweitem Satz gesprochen werden kann. Leo Latil (1890-1915) war Sohn von Victor Latil, welcher der Hausarzt der Familie Milhaud war. Ihn und Milhaud verband die Liebe zu den Dramen Maeterlincks, der Lyrik der Symbolisten und den Dichtungen André Gides, Francis Jammes´und Paul Claudels.5 Latil erwarb einen Abschluß in Philosophie und schrieb schwermütige Lyrik, wie z.B. 1914 das 48 Seiten lange Werk "Les lettres d'un soldat", dessen Veröffentlichung er selbst nicht erlebt hat, da er 1915 als Reservist in den Krieg eingezogen wurde und am 27. September 1915 in Souain (an der Marne) fiel. In Bezug auf das vorliegende Gedicht und seinen Inhalt soll folgendes gesagt werden: Zunächst erleben wir eine Naturbeschreibung, wie hören von kaltem Sturmwind, der die Bäume biegt, sie mit seiner gewaltigen Kraft zu erschüttern vermag und die Kräuter im Boden aufwühlt und von strömenden Regen, der gegen die Häuser und auf das Pflaster der Straßen peitscht. Etwa in der Mitte des Gedichts endet die Naturbeschreibung und es folgt so etwas wie eine Beschreibung des Seelenzustands des lyrischen Ichs, welches auf der feuchten Erde steht und seine Stimme fragend und voller Todessehnsucht gen Himmel richtet, Gott und dann Götter anruft und sich fragt, ob es erhört werden wird. Am Ende eine rätselhafte Zeile mit der Frage, was es mit dieser Todessehnsucht auf sich haben könnte und um wessen Tod es denn gehe. Nun werden wir sehen, wie Darius Milhaud diese Vorlage umgesetzt hat: Gleich im ersten Takt findet sich ein Motiv, das sich immer wieder wiederholen wird und ich habe daher entschieden, den ersten Takt als Keimzelle des gesamten zweiten Satzes anzusehen. Gegen die Melodie b as d c in der ersten Violine stehen dieselben um eine große Sekunde verschobenen Tonabstände als d c f es in der Viola. Dazu zwei chromatische Tonleitern, as b c d in der zweiten Violine und c d es f im Violoncello. Zusammengenommen sieht ergeben sich daraus zwei Gruppen, die eine sind Violine und Viola, die andere Gruppe besteht aus zweiter Violine und Violoncello, die quasi kontrapunktisch den Gegenpart zur ersten Gruppe bilden. Die Keimzelle besteht aus zwei Teilen zu jeweils 4 Achteln. Das Erscheinungsbild des zweiten Takt ist ein deutlich anderes und kontrastierend zum ersten Takt. Lediglich in der zweiten Violine findet sich eine Achtelfigur, die aus zwei gleichen identischen Abschnitten zu jeweils vier Noten besteht. Ansonsten haben wir es in Violine und Viola mit halben Noten auf dem ersten Schlag des Vier-Vierteltaktes, gefolgt von Viertel und Achtelnoten, in der ersten Violine ist die halbe Note an die nachfolgende Achtelnote gebunden, in der Viola ein Achtel an eine punktierte Viertel. Im Violoncello erblicken wir eine Mischform: Ein an ein punktiertes Viertel gebundenes Achtel, danach eine Achtel-Viererfigur wie im ersten Takt, allerdings ab-, nicht aufsteigend. Der dritte Takt ist identisch mit dem ersten Takt, abgesehen von einer Melodievariation der ersten Violine auf dem dritten und vierten Schlag. Der vierte Takt ist wiederum eine Variation des zweiten Taktes, die Melodie der zweiten Violine ist identisch. Es folgt eine absteigende Linie, die in Takt 5 mit der ersten Violine begonnen, in Takt 6 von der zweiten Violine weitergeführt und im siebten Takt von der Viola übernommen wird. Der Melodie gegenüber stehen in Takt 5 ausgehaltene zueinander sekunddissonante Klänge, die dann in der Mitte von Takt 6 abrupt enden, während die Abwärtslinie in der zweiten Violine weiter läuft. Im siebten Takt, wo die Linie in der Viola angelangt ist, steht nur noch ein ausgehaltenes As, dissonant zur Abwärtslinie. Dieser Effekt des Ausdünnens hat in Takt 8 ein jähes Ende. Dieser Takt ist zunächst identisch mit Takt 1, allerdings setzt auf dem dritten Schlag nun die Sopranstimme ein, was die vergangenen Takte plötzlich rückwirkend als eine Art Vorspiel wirken lassen. Außerdem liegt es nahe, die Takte 5 bis 7 als retardierendes Moment vor dem Einsetzen der Singstimme zu verstehen. Der Rhythmus der Singstimme folgt sehr eng dem natürlichen Rhythmus des gesprochenen Textes: Die Textumsetzung ist syllabisch. Milhaud arbeitet hierfür mit Triolen, Augmentation und Diminuation in der Singstimme. z.B.: Takte 9, 10: „un vent froid, qui souffle fort“ Die natürliche Betonung liegt auf „froid“ und vor allem auf „fort“: Froid ist punktiert, zu Fort ist eine halbe Note notiert. Das Relativpronomen „qui“, das die schwächste Betonung hat, ist umgesetzt mit einer Sechzehntel-Note. An diesem Beispiel zeigt sich auch gleich der direkte Zusammenhang zwischen Sprachmelodie und Tonhöhe: „Il fait un vent“ Die Stimme setzt in d an, auf „fait“ liegt eine stimmliche Hebung, umgesetzt mit b, die Bewegungsrichtung geht wieder runter. Dann die nächste Textaussage „un vent froid, qui…“ Die tiefste Note auf „fort“ in Takt 10 entspricht dem Absenken der Stimme. Daß Milhaud die Textaussage sehr wichtig ist, zeigt sich noch an weiteren Beobachtungen: Einleitung und retardierendes Moment kündigen die Singstimme an, bis Takt 24 verharren die Streicher auf den Noten der Keimzelle, sei es genau so, oder variiert oder transponiert oder fragmentarisch. In den Takten 10 bis 14 spielen zweite Violine, Viola und Violoncello formal aber nicht harmonisch zusammen, was ausgedünnt und unvollständig wirkt. Statt 8 Noten erklingen 4, 5 oder 6 und das nicht rhythmisch synchron oder - genauer gesagt - rhythmisch verschoben! Beginnend mit der ersten Violine setzen in den Takten 16,17 und 18 die Instrumente nacheinander ein und spielen variiert die Keimzelle aus Takt 1, und zwar alle. In Takt 16 und 17 wird aber die Verschiebung der Instrumente deutlich: Die erste Violine spielt das Motiv der Keimzelle nicht auf der 1 des 17.Taktes, sondern schon früher im sechzehnten Takt. Auch hier ist der Rhythmus des Vier-Viertel-Taktes nicht mehr vorhanden, weil verschoben. In Takt 18 sind dann aber alle Instrumente wieder zusammen, aber nur für einen Takt. Ab Takt 21 finden wir eine neue Gruppierung der Instrumente vor, denn die erste und zweite Violine spielen nun zusammen, Viola und Violoncello sind ebenfalls zusammengehörig, daß wird besonders dadurch deutlich, Viola und Violoncello gemeinsam zwei Schläge zu spät einsetzen, das heißt, sie beginnen auf dem zweiten Schlages des Vier-Viertel-Taktes und das bleibt auch bis Takt 25 so. In Takt 26 vollzieht sich dann eine sowohl formale als auch harmonische überraschung: Die Stimme schweigt und in keiner Stimme gibt es eine Achtelbewegung, statt dessen ein ungeheuer sperriger Mehrklang: Ein gis im Violoncello reibt sich mit einem g in der ersten Violine, ein e in der Viola reibt sich mit einem es in der zweiten Violine. Dem aber nicht genug: Der Klang erklingt extra lang, da als Halbe notiert, dann kommt er erneut als Achtel, gefolgt von einem dritten Mal, bei dem allerdings statt dem Gis im Violoncello ein a steht, auf das ein b folgt. Takt 27 verstört mit einer Aufwärtsbewegung im Violoncello und endet im nächsten Takt auf einem h. Auf besagtes h schichtet sich ein neuer Mehrklang als halbe Note, der nur in Viola und Violoncello dank Punktierung sogar noch um ein Viertel länger klingt. Wir hören gleichzeitig mehrere Sekund-Dissonanzen: h, c, dis, e, g, as. Die Stimme erklingt jetzt wieder, doch nicht auf der 1, sondern auf der 2. Sie singt „Le vent souffle“. Takt 28 ist nicht weniger ungewöhnlich: Die Stimme schweigt wieder, es erfolgt ein genau ein Takt dauernder Wechsel in den Dreivierteltakt mit gleichem Tonmaterial wie in Takt 26. Hier wird der Mehrklang gis-e-c-g-es-h aufgelöst in einen schlichten Dreiklang e-c-e-cis, der nur eine Dissonanz aufweist, nämlich zwischen c und cis. Weiter mit den Takten 29 bis 34: In Takt 29 spielt nur erste und zweite Violine, eine reine Quinte cis-gis in der ersten Violine dazu erklingt eine Variante der Keimzelle, im nächsten Takt gesellen sich auf einem a in der ersten Violine die anderen Streicher und wieder um einen Schlag versetzt die Stimme dazu. Die Keimzelle aus Takt 1 erklingt in zweiter Violine und Violoncello, die Viola spielt eine Variante der ebenfalls aus Takt 1 bekannten chromatischen Tonleiter, jetzt als Quintintervalle, was eine Anhäufung von Quintparallelen zur Folge hat. In der ersten Violine vollzieht sich bis zum zweiten Schlag in Takt 33 eine dramatische chromatische Tonleiter, die auf einem dreigestrichenen ais ihr Ende findet. Dazu singt die Stimme „les nuages de pluie dans le vaste ciel“. In Takt 33 und 34 findet sich in Verbindung zur transponierten Keimzelle eine neue auffallende Figur in der Viola, die aus 4 Gruppen a einem Schlag besteht, der sich jeweils aus zwei Sechzehntel und einem Achtel zusammensetzt. Bis Takt 45 erscheint die Figur immer in dieser Form, taucht aber auch in anderen Stimmen auf. In Takt 35 spielt das Violoncello im Violinschlüssel ein eingestrichenes d, das ausgehalten wird! Die Keimzelle in der zweiten Violine ist nicht vorhanden. In den Takten 36 und 37 passiert Erstaunliches: Die Viola, nun auch im Violinschlüssel, spielt eine vom eingestrichenen e ausgehende aufsteigende Tonleiter mit einem Crescendo im Takt 36, dem im folgenden Takt ein Decrescendo entgegengestellt wird. Dazu erklingt ein ausgehaltener Triller in der zweiten Violine auf cis, der seinerseits der gleichen Dynamik unterworfen ist. Die beiden Stimmen enden in einer Terz im Abstand von zwei Oktaven, von der aus jeweils in Gegenbewegung ein Septimsprung erfolgt. Dies geschieht in halben Noten und in Folge des Decrescendos entsprechend spannungsreich. In Takt 44 wird die Viola-Figur hier von der 1. Violine aufgegriffen, wobei sie zum ersten Mal gespiegelt vorkommt und zweimal identisch erscheint. Jeweils die Figur des ersten und dritten Schlages wird auf Schlag zwei und vier in entgegengesetzter Rhythmisierung realisiert. Dabei fällt besonders auf, daß auf den Abstieg in Sekundschritten ein Abstieg in Form einer Dreiklangsbrechung folgt. In Takt 47-52 spielt die erste Violine wieder eine auffallend hohe Melodie. Sie beginnt auf „parlerai“ mit einem eingestrichenen cis, dann zwei Septimsprünge zum as. Auf „Mais“ ist der Höhepunkt erreicht, dann steigt sie in Sekundschritten kontinuierlich abwärts. Zeitgleich zu „parlerai“ erklingt in der zweiten Violine wieder die Keimzelle in variierter Form. Im nächsten Takt kommt sie mit hinzugenommenen Quinten, wodurch wieder Quintparallelen entstehen. In den Takte 52 bis 54 findet ein Wechsel zum Dreivierteltakt statt, zu „voix“ erklingt wieder ein sperriger dissonanter Mehrklang, zu gis im Violoncello steht g in der zweiten Violine, zu e in der Viola steht es in der ersten Violine, danach erfolgt die Rückkehr in den Vier-Viertel-Takt. Die nächsten beiden Takte sind ebenfalls von dissonanten Mehrklängen geprägt. In Takte 55 erklingt die Keimzelle in neuer Variante in der ersten Violine, es folgt versetzt erst das Violoncello, dann auf gleiche Weise versetzt, die Viola bis Takt 71. Wir haben es wieder mit einer Zweiergruppierung zu tun, die die Keimzelle spielen: Erste und zweite Violine sind formal aber nicht harmonisch zusammen, die anderen beiden Instrumente ebenfalls. Beginnend mit Takte 72 dünnt die Partitur aus: In Takt 72 erklingt die zweite Violine alleine, in Takt 73 zunächst nur erste Violine und Violoncello, die Viola folgt zögerlich, auf dem letzten Schlag gesellt sich die erste Violine dazu und es entsteht der sekunddissonanten Vierklang c, d, e, f. In Takt 74 folgen drei gemeinsame Mehrklänge, es gibt keine Achtelketten mehr. Statt dessen erklingen in Takt 75 plötzlich Sechzehntel in der Stimme, die Streicher schweigen. Die abschließende Frage ist mit einem Taktwechsel notiert. Während „Qu´est-ce que c´est que ce désir de mort.“ im Vier-Viertel-Takt notiert ist, wird die Frage im Dreiviertel-Takt „et de quel le mort s´agitil?“ fortgesetzt. Danach erfolgt sofort Rückkehr zu Vier-Viertel-Takt. Genau wie die Frage steigt auch die Melodie auf, von cis, über d und e zu f. Die Streicher schweigen noch immer. Nachdem die Stimme geendet hat erklingen sie noch mal, sie spielen die Takte 77, bis 80, doch es handelt sich um eine exakte Wiederholung der Takte 72 bis 75, von der endenden und dann auch nicht mehr einsetzenden Singstimme abgesehen, wodurch in Takt 80 eine Generalpause vom zweiten bis zum vierten Schlag entsteht. Es erfolgt noch ein Wiederaufgriff, allerdings verkürzt, weil nur in Form der Takte 73 und 74. Das Stück wird (noch leiser) – dreifaches Piano – und endet auf dem ersten Schlag in Takt 83 mit dem bereits aus Takt 74 und 79 bekannten Sekund-dissonanten Vierklang c, d, e, f. Genug von der Musik, nun zu der augenscheinlichen musikhistorischen Parallele: Zunächst eine Naturbeschreibung, zum Beispiel ein Wind, der zurückkehrt und dann erfolgt eine metaphorische Umdeutung auf den Gemütszustands des lyrischen Ichs, daß im Madrigalkontext des vierzehnten Jahrhunderts zumeist von großer und stets tragisch anmutender Leidenschaft erfüllt ist und bereit ist, dafür – und damit sind häufig sexuelle Dinge gemeint – zu sterben bereit ist. (Vgl.: Francesco Petrarca: Zefiro torna, e 'l bel tempo rimena.) Der prominenteste Dichter war Francesco Petrarca (1304-1374), für dessen volkssprachliche Dichtungen - 317 Sonnette, 29 Canzonen, 9 Sestinen, 7 Balladen und 4 Madrigale - zunächst zwar keine musikalischen Formmodelle existierten, im fünfzehnten, vor allem aber im sechzehnten Jahrhundert aber ein zunehmender Prozeß einer musikalischern Auseinandersetzung mit seinen Werken begann, bis hin zu einem literarischen Petrarcismus im sechzehnten Jahrhundert, wo mindestens 1500 Werke entstanden, deren Vorlagen die Gedichte Petrarcas waren, die nach einer beginnenden Naturbeschreibung umschalten auf eine Betrachtung des Gemütszustandes des lyrischen Ichs. Es geht um tragische unerfüllbare Liebe, nahezu immer Petrarcas unsterbliche Liebe zu Laura, wenngleich ihr doppeldeutiger Name nur drei Mal mehr oder weniger direkt genannt wird. Nachfolgend Petrarcas „Zefiro torna, e 'l bel tempo rimena“, das z.B. 1585 von Luca Marenzio (1553 - 1599) vertont wurde, dessen berühmteste Vertonung aber im sechsten Madrigalbuch Claudio Monteverdis (1567-1643) zu finden ist. Auch hier zunächst eine Naturbeschreibung, in diesem Beispiel hat sie mit dem Frühlingswind zu tun und die Natur ist nicht negativ wie bei Latil, doch dann findet eingleitet mit den Worten „per me“ ein Wechsel der Perspektive zum lyrischen Ich hin statt. Auch hier finden wir Verzweiflung und Kummer. Es ist nicht auszuschließen, daß Milhaud indirekt auf diese Tradition Bezug nehmen wollte, es gab auch nach dem sechzehnten Jahrhundert immer wieder einmal Komponisten, die das taten, z.B. Franz Liszt (1811-1886) mit seinen Petrarca-Sonetten. Außerdem war Tradition Milhaud stets sehr wichtig, wie er selbst ein Mal in einem Gespräch mit Claude Rostand gesagt hat: „Vor allem fühle ich mich entschieden, was manchen vielleicht wundern wird, der Tradition der Couperin, Rameau, Berlioz, Bizet und Chabrier verpflichtet.“ Wir wollen nun einen Schritt zurücktreten und die Frage stellen, womit wir es bei diesem Werk zu tun haben. David Collaer bezeichnet das Objekt des vorliegenden Werkes als „profonde et longue méditation“ und das trifft durchaus den Höreindruck, vor allem in Bezug auf den ersten Satz. Doch wie hat Milhaud das geschafft? Am Beispiel des zweiten Satzes seien einige Beobachtungen in Hinblick auf ihre Wirkung zusammengetragen. Zunächst das verspätete Einsetzen der Stimme in Takt 8. Es entsteht Erwartung. Das Tempo Tres lent, Pianissimo und sogar Dreifaches Piano, das Stück soll langsam und ruhig gespielt werden und doch ist es sehr spannungsvoll durch seine Dissonanzen und die unerwarteten Veränderungen. Außerdem ist eine gezielte Verwendung von Motiven und Lautmalerei vorzufinden. Das Anfangsmotiv, das wie erst durch das Einsetzen der Stimme und den gleichzeitigen Rückgriff darauf klar wird, den kalten Wind beschreibt und dessen „souffle“. Die Worte „Fort“ und „maniere folle“ kommen durch Dissonanzen zum Ausdruck. Das Biegen der Bäume wird, so hat es stark den Anschein, durch die immerwiederkehrende Keimzelle ausgedrückt, anhand der Musik ist es aber kein Krachen, sondern vielmehr das ächzen des Gehölzes, das zum Ausdruck kommt. Erzittern des Stammes durch lange dissonante Liegetöne, aufsteigende Linien spielen die Peitschbewegung des Regens nach, das Aufprallen des Windes zeigt sich im Zusammenprallen der Keimzellen und den aufeinander gestapelten viertel Noten. über der Stadt sind die Töne besonders hoch, innerhalb der Stadt stehen sie in mittlerer Lage und um die Stadt herum dann tiefe Töne. Der inhaltliche Wechsel von Naturbeschreibung zu Gemütsverfassung drückt sich in der Substitution der bisherigen Naturmotive in Gemütsmotive aus: Z.B. die Stimme, die wie der Regen, der gegen die Hausmauer peitscht, unter Tränen nach Gott ruft. Z.B. ein Taktwechsel, wenn das lyrische Ich sehr bewegt ist. Die Todessehnsucht ist wie eine Pause des Nachdenkens gestaltet. An dieser Stelle möchte ich die Sammlung der Beobachtungen, derer es noch vielmehr zu beschreiben gäbe, abschließen, um mich einer letzten Frage zuzuwenden. Womit haben wir es bei diesem Werk zu tun? Handelt es sich nun um ein Streichquartett mit einer zusätzlichen Stimme oder vielmehr um einen unabhängigen Satz? Sehr wahrscheinlich sind mehrere Meinungen möglich und doch möchte ich an dieser Stelle die meine äußern, die lautet, daß es sich um einen eigenständigen Satz handelt. Folgende Hauptgründe möchte ich hierfür anführen: Die Musik folgt, wie wir im zweiten Satz deutlich sehen konnten, der Stimme, d.h. ist von der Stimme abhängig! Dazu kommt, daß klassische Streichquartett-Kriterien kaum vorhanden sind. Die Idee einer harmonischen Einheit der Stimmen erscheint, da diese oft oder meist voneinander unabhängig sind, nicht vorhanden zu sein. Eine Rollenverteilung der Streicher existiert ebenfalls nicht. Milhauds vorliegendes Quartett läßt sich nicht irgendeine Form aufstülpen und gerade das scheint sehr konsequent zu sein, wenn er in seiner Unterhaltung mit Claude Rostand erklärt, wie sehr er sich mit Streichquartett III gegen ästhetische Restriktionen auflehnen wollte: "Ich lehnte damals verallgemeinernde ästhetische Theorien aufs schärfste ab und empfand sie als eine unvernünftige Begrenzung der Phantasie des Künstlers, der für jedes neue Werk neue Ausdrucksformen braucht und sich ruhig in diesen widerspiegeln mag." Von Jeromin Fest.