Der Fischer Miguel (Cristian Mercado) lebt mit seiner hochschwangeren Frau Mariela (Tatiana Astengo) in einem kleinen Dorf, dessen ärmliche, unverputzte graue Häuschen auf einem schmalen Streifen Sand zwischen dem unermesslichen Ozean und den hohen, kahl-braunen Felsen des Hinterlandes hingestreut liegen, wie vom Meer angeschwemmtes Treibgut. Das harte Leben der Menschen wird bestimmt von den Kräften des Meeres, macht sie angewiesen auf die Gemeinschaft, deren Traditionen festlegen, wie "man" sein Leben führt und was "man" glaubt, was ein "echter Mann" tut und was eine "ehrbare Frau", was "man" empfinden darf, was unter Freunden erlaubt ist und was verboten. Wie Wellen und Steilklippen die Welt der Fischer nach außen hin abschließen, so das ungeschriebene Gesetz der überkommenen Bräuche die innere Welt der Sehnsüchte und Träume, der unaussprechlichen Gefühle und namenlosen Wünsche. Die Individuen werden klein, verblassen beinahe vor den überindividuellen Mächten der Natur und der Geschichte, der übermächtigen Gemeinschaft mit ihren archaischen Normen.
Die Gemeinschaft ist streng zu sich und abweisend zu denen, die von außen kommen, auch wenn sie, wie der Maler Santiago (Manolo Cardona), seit ihrer Kindheit jeden Sommer im Dorf der Fischer verbracht haben. Santiago bleibt ein Außenseiter, nicht nur, weil er aus "der Stadt" kommt und aus wohlhabendem Hause, sondern gerade weil er das Leben der Bewohner kaum berührt, nichts tut oder spricht, "nur schweigt und fotografiert", wie einige Frauen sagen, die ihm misstrauen.
Miguel aber saß ihm Porträt. Sie verliebten sich ineinander, doch in der Welt der Fischer gibt es dafür keinen Raum. Keine Berührung, kaum Worte, nur Blicke - und die wenigen Stunden, die Miguel bleiben, wenn er seine Netze flicken geht, wie er Mariela erzählt.
Miguel fügt sich - bereitwillig, denn er ist ja nicht "so" wie der Maler - in die Grenzen, die ihnen gezogen sind, nicht aber Santiago. Ein wenig mehr Zeit füreinander, ob sie nicht fortgehen könnten für eine Weile, vielleicht eine Reise zusammen? Das wäre gewiss schön, aber Miguels Tante brauche Hilfe, da ihr Sohn Carlos doch gerade verstorben sei, und Mariela erwarte bald ihr Kind. Es kommt zum Streit. Santiago verschwindet. Miguel kann ihn nicht finden. Sein Sohn wird geboren.
Eines Tages kommt er von der Arbeit nach Hause und findet Santiago dort vor, verstört, den Kopf in die Hände gestützt. Miguel ist entsetzt. Mariela schläft im Nebenzimmer. Santiago muss sofort gehen! Mariela erwacht und kommt herein, doch sie scheint Santiago nicht zu sehen. Santiago geht. Am Sontag in der Messe während der Lesung erscheint Santiago erneut, verstört, verzweifelt, doch die Gemeinde nimmt ihn nicht wahr.
Ein drittes Mal erscheint er Miguel, als dieser bei der Arbeit ist, allein. Nach ihrem Streit ging er Schwimmen. Die Strömung hatte ihn gegen die Felsen geschleudert. Santiago ist ertrunken. "Niemand hört mich, niemand sieht mich, nur Du. Ich wollte gehen, doch ich kann nicht. Es ist, als wäre ich hier gefangen, mit Dir. Warum bin ich hier, Mico?" Miguel verspricht ihm zu helfen. Sie müssen seinen Leichnam finden und bestatten, damit er Ruhe finden kann.
Doch auch, wenn andere Santiago weder sehen noch hören oder fühlen können, für Miguel ist er real: Er kann ihn sehen und hören und fühlen, in den Arm nehmen und trösten. Es scheint, als hätte erst Santiagos Tod und sein Dasein im Limbus zwischen den Welten den Liebenden die Chance auf ein Leben zusammen eröffnet, das ihnen zuvor verschlossen war - ein Leben, in dem sie alle drei glücklich sein können. "Warum bleibst Du nicht hier?" fragt Miguel. "Ich möchte, dass Du hier bei mir bleibst." Als Miguel schließlich Santiagos verwesenden Körper findet, unter Wasser, eingeklemmt zwischen Felsen, bindet er den Leichnam an einem Stein fest ohne ihn zu bergen.
Als aber die Dorfbewohner im verwaisten Haus des Malers Bilder von Miguel finden, nackt, als das Gerücht geht, Miguel sei ein "maricón", der seine Frau entehrt habe und seinem neugeborenen Sohn kein Vater sein könne, als Miguel sich gezwungen sieht, Santiago wieder und wieder zu verleugnen, da begreift er, dass er die Entscheidung treffen muss, die Santiagos Tod unnötig gemacht zu haben schien: entweder sich zu Santiago zu bekennen, indem er dessen toten Körper bestattet - auch wenn das bedeutet, Mariela und den Sohn zu verlieren; oder seine Familie zu bewahren, wenn auch zu dem Preis, dass Santiagos Geist, zwischen den Welten gefangen, keine Ruhe finden wird.
Die Strömung jedoch hat Santiagos Körper losgerissen und davon getragen...
Es ist die unwirkliche Kargheit der Landschaft, die Wüstenei aus Wasser, Gischt und Geröll, dergegenüber die Welt der Menschen blass, fast geisterhaft zurücktritt, die den magischen Realismus greifbar macht, mit dem Fuentes-Leon seine Geschichte von Miguel und Santiago erzählt - ein Realismus, der die Grenzen der profanen Wirklichkeit sprengt. Himmel und Meer, Felsen und Sand umgreifen den Horizont, der kein Jenseits zu haben scheint. Es ist eine Welt, in der die Anwesenheit des Geheimnisses angedeutet wird durch die fast völlige Abwesenheit von Grün. (Eine der irritierendsten Szenen zeigt die Liebenden von der Grotte, die ihnen als Zuflucht dient, zum Meer hinunter laufen; nicht, dass sie nackt sind, verstört, sondern das unerträglich leuchtende Grün von Seegras und Algen an den Felsen in der Brandung.)
Zeit als Zählung von Stunden und Minuten hat keine Bedeutung; sie ist gegenwärtig als Abfolge von Tag und Nacht, Licht und Dunkel, Tod und Geburt, in den Gezeiten des Meeres, im Leben der Natur, die ihr eigenes und wesentliches Maß hat. Immer gleich dagegen sind die Wellen, ist der Wind, der flirrende, in Schleiern fliegende Sand. Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod scheinen ineinander aufgehoben. Carlos' Bestattung steht am Anfang und Miguels Erklärung an Santiago, warum es so wichtig sei, Carlos ein Begräbnis zu geben. "Du glaubst diese Geschichten wirklich?" fragt Santiago. In ihrer Grotte, inmitten der abweisenden, menschenleeren, fast feindseligen Natur, in deren Schoß sie doch ganz füreinander, einander liebende Menschen sein können, stößt er sich den Kopf - so wie ihn die Strömung wenig später an die Felsen schleudern wird. Sein Tod eröffnet den Liebenden eine Fülle des Lebens, wie sie ihnen zuvor unbekannt war, und doch bringt der neue Anfang das Ende ihrer Geschichte in dieser Welt. In seiner Überfülle zeigt er, was hätte sein könne, aber was nun in dieser Welt nicht mehr sein wird.
Javier Fuentes-Leon ist ein großartiger Film gelungen, bedrückend und berührend zugleich, der, wie er immer wieder betont, ohne die Mittel aus der deutschen Filmförderung nicht möglich gewesen wäre. Es ist daher umso unverständlicher, dass "Contracorriente" hierzulande fast gar nicht wahrgenommen wurde - erst recht nicht als ein, wie Fuentes-Leon sagt, zutiefst christlicher Film, an dessen Ende der Schmerz bleibt, und die Hoffnung, dass die Liebe nicht vergebens ist und der Tod nicht das Ende aller Dinge. Von Dr. Daniel Gruschke.